Einige Krankenkassen sollen niedergelassene Honorarärzte zu falschen Diagnosen verleiten, um so mehr Geld zu verdienen. Diesen Vorwurf erhebt der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, selbst. So soll zwischen den Kassen ein regelrechter Wettbewerb herrschen, Mediziner dazu zu bringen, möglichst viele verschiedene Diagnosen bei ihren Patienten zu machen. Angeblich belohnen die Krankenkassen die Ärzten mit Prämien, wenn sie Patienten in der Diagnose kränker darstellen, als diese eigentlich sind. Denn so erhalten sie mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds.
Krankenkassen motivieren Ärzte schwerere Krankenheiten zu diagnostizieren
Es wurden sogar Verträge mit Ärztevereinigungen abgeschlossen, die gerade zum Ziel haben, dass möglichst schwere Diagnosen festgestellt werden. Dabei handelt es sich eigentlich um sogenannte Betreuungsstrukturverträge zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen. Grundsätzlich haben diesen zum Zweck, eine bessere Betreuung der Patienten zu gewährleisten. Problematisch ist daran jedoch, dass den Ärzten Geld versprochen wird, wenn ihre Diagnosen mit einem bestimmten Zahlenschlüssen versehen werden.
Der Grund dafür liegt in der Struktur des Risikofinanzausgleichs: Die gesamten Einnahmen der Kassen aus den Beiträgen fließen in den Gesundheitsfonds. Danach wird an die Kassen je nach der Struktur ihrer Versicherten ausgeschüttet. Für ältere und kränkere Menschen gibt es mehr; zusätzlich kommen bestimmte Pauschalen für einige besonders teure und häufige Krankheiten. Dabei ist auch entscheidend wie schwer eine Erkrankung ist.
So wird statt einem leichten Bluthochdruck auf dem Papier mal schnell ein schwerer oder es wird eine schwere Depression statt einer leichten dokumentiert.
Es ist entscheidend, dass die Diagnosen besonders genau und mit dem konkreten Zahlencode versehen, gemacht werden. Die Zahlencode geben genau die Krankheit sowie den Schweregrad an. Da dies für die Krankenkassen unerlässlich ist, beraten die diesbezüglich die Mediziner regelmäßig. Die Krankenkassen sollen sich dazu Unterstützung von Unternehmensberatern gesucht haben.
Manipulation geht zulasten der Patienten
Baas sprach dabei vor allem von der AOK und seiner eigenen Kasse. Seit 2014 sollen die Kassen für dieses Vorgehen über eine Milliarde ausgegeben haben. Eben dieses Geld fehle nun bei der Behandlung der Patienten. Außerdem läge der Beitragssatz durch das betrügerische Handeln für den Patienten um 0,3 Prozentpunkte höher, als er eigentlich müsste.
Ärztevereinigungen: Ein „Upcoding“ hat nicht stattgefunden.
Die Ärztevereinigungen bestreiten, sich systematisch an den Betrügereien beteiligt zu haben. Die Beratungen fänden lediglich statt, um die Diagnosestellung der Mediziner zu verbessern. Schließlich könnten die Kassen oft erst durch die Verschreibung bestimmter Medikamente oder die Überweisung an andere Ärzte erkennen, dass eigentlich eine schwerere Krankheit vorliege, als die diagnostizierte.
Die Kassen müssten natürlich darauf achten, dass die korrekten Verschlüsselungen verwendet werden, um die entsprechenden Zulagen abrechnen zu können. Ein „Upcoding“ fände nicht statt. Zudem seien die Betreuungsstrukturverträge stets von den Aufsichtsbehörden genehmigt worden. Mittlerweile beschäftigt das zweifelhafte Vorgehensweisen der Krankenkassen auch die Ermittlungsbehörden, nachdem Anzeige gegen die Techniker Krankenkasse erstattet wurde.